12.2004 Jared Leto: Mit seiner letzten Rolle als angeblicher Liebhaber von Alexander, dem Großen in Oliver Stone's neuem Film über den berüchtigten Eroberer, läuft der einst zwiespältige Teen-Herzensbrecher mit angeborener Leidenschaft zu reisen, aufstrebende Rockstar und eigensinnige Mime nicht länger vor den Erwartungen des Publikums davon, sondern stellt sich ihnen frontal.
Es war vermutlich sein hübsches, stets nachdenklich dreinblickendes Gesicht, welches im Mittelpunkt stand, als er erstmals als mysteriöser Jordan Catalano, Claire Dane's schmuddeliges Objekt der Begierde in der 90er Kultserie 'Willkommen im Leben' auftauchte. Doch das Leben meinte es nicht gut mit Jared Leto, zumindest auf dem Bilschirm. Er wurde von David Fincher's konsumverweigerndem Multi-Charakter Edward Norton in 'Fight Club'(1999) verdroschen, Christian Bale als gelackter Massenmörder Patrick Bateman zerstückelte ihn mit einer Axt in Mary Harron's 'American Psycho' (2000), ein hässlicher Abzess, der ihn aus einer ausser Kontolle geratenen Heroinsucht heraus einen Arm in Darren Aronofsky's 'Requiem for a Dream' (2000) kostete und in 'Panic Room' (2002), ebenfalls unter David Fincher's Regie, wurde er, bedingt durch eine Gasexplosion verschmort. Aber während Katastrophen dazu tendieren, Leto in seinen Film-Leben heimzusuchen, erweisen sich die von ihm bevorzugten Rollen als Teile eines größeren Puzzles, das der Schauspieler selbst zu sein scheint. Geboren in einer Kommune, wuchs er unter seiner photografierenden Mutter von Alaska, über Florida, Louisiana und Wyoming umherreisend auf, gefolgt von Stippvisiten in Haiti und Brasilien, bevor er als Teenager in New York landete. In 'Alexander', Oliver Stone's neuem, kontroversen Epos über den berühmten Eroberer Alexander der Große, spielt Leto Hephaistion, Alexander's engen Vertrauten und Liebhaber, zusammen mit einer Hollywood Schwergewichtsbesetzung, die Angelina Jolie, Anthony Hopkins, Val Kilmer und Colin Farrell in der Hauptrolle, einschließt. Fincher schnappte sich den 30jährigen Schauspieler in Südafrika, wo er die Arbeiten zu Andrew Niccol's Waffenschmuggler-Thriller 'Lord of War' beendete und sich darauf vorbereitete, mit seiner Rockband 30 Seconds to Mars, auf Tour zu gehen.
DAVID FINCHER: Also Kumpel, jetzt erzähl mir mal was über deine Jagd nach Ruhm im Rockbiz. Die Verführung hielt wohl nicht lange an, jetzt, da du wieder zurückkehrst ins Filmgeschäft?
JARED LETO: Wieso? Bist du enttäuscht, dass ich wieder Filme mache?
DF: Nö, nur neugierig.
JL: Nun, ich hatte mir eine lange Auszeit genommen. Ich glaube, ich habe in fünf Jahren drei Filme gemacht, und im Moment habe ich wieder eine Phase, wo ich mehr arbeite. Aber ich mache immer noch Musik. Ich habe gerade 80 Prozent von unserer zweiten Platte beendet. (Der Nachfolger des 2002er Albums) Sie wird im März bei Virgin Records erscheinen.
DF: Wirst du diesmal die Unterstützung...
JL: ... kriegen, die wir so dringend verdienen? Mit der ersten Platte hatten wir eine Plattenfirma, die auseinanderfiel, und wie alle wissen, befindet sich die Industrie im Moment in ihrer höchsteigenen Version der Großen Depression. Wir waren das Opfer von alldem. Aber immerhin haben wir mehr als 100.000 Platten verkauft und tourten überall, wir gaben mehr als 350 Konzerte, und wir hatten eine tolle Zeit. So gesehen war es ein Erfolg. Übrigens, was machst du eigentlich im Moment?
DF: Ich befinde mich im ersten Trimester der Reifezeit für meinen nächsten Film. Ich versuche, diesen Benjamin Button Film zusammenzukriegen. (Ein Vogel im Hintergrund) Was ist das?
JL: Das sind ein paar wirklich eigentümliche afrikanische Vögel.
DF: Komm schon, Jared, erlaubt man dir, Schafe im Haus zu halten?
JL: Naja, es ist ein Geheimnis, also sag's keinem. (lacht) Diese scheiß Vögel wecken mich jeden Morgen. Du machst also einen Film, der 'Benjamin Button' heißt? Mit einem solchen Titel wüßte ich nicht, ob es sich um ein Stofftier oder um einen Pädophilen handelt.
DF: Beides. (lacht) Nein, er basiert auf einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald ('') und wir arbeiten jetzt seit ungefähr fünf Monaten daran und versuchen, das Budget so weit runterzukriegen, dass es zwei Studios schlucken können.
JL: Ich kann nicht glauben, dass ich nach 'Panic Room' vor dir den nächsten Film mache.
DF: Und du hast eine Platte gemacht, gingst auf Tour und hattest ein Leben. Ich war dafür auf einer Premiere und habe eine DVD-Dokumentation gemacht, wenn das zählt.
JL: Ich war nicht mal bei der Premiere zu 'Panic Room'. Ich bin so ein Arschloch.
DF: Nun, das ist Teil deiner geheimnisvollen Aura.
JL: Das hat nix mit Aura zu tun! Wahrscheinlich hab' ich mit der Band auf irgendeiner Kegelbahn in Grand Rapids, Michigan, gespielt. Das ist mein aufregendes Leben, weißt du.
DF: Okay, erzähl mir von 'Alexander'. Ich habe Freunde, die an dem Film mitgearbeitet haben und die hohen Lobes waren, und die waren nicht stoned oder besoffen. Wie bist du in diese Geschichte hineingeraten?
JL: Nun, ich traf mich mit Oliver Stone, dann hatte ich eine Lesung, die war ... uhm... interessant.
DF: Oh, erzähl.
JL: Einmal während der Sprechprobe, legte Billy Hopkins, der Casting Direktor seinen Kopf in meinen Schoß. Ich turtelte mit ihm herum, und es war irgendwie lächerlich. Aber für einen Moment war da etwas. Und seitdem treffen wir uns regelmäßig. (lacht) Aber es war gut, denn ich bekam die Rolle. Das Script war unglaublich. Oliver, oh Mann... dieser Kerl ist ein großartiger Schreiber, kein Zweifel. Er war schon immer einer meiner Favoriten unter den Regisseuren, und ich wäre dafür gestorben, mit ihm arbeiten zu dürfen. Als ich Oliver getroffen und mit ihm über dieses Projekt gesprochen habe, das war wie damals bei deinem Casting, als ich die kleine Rolle in 'Fight Club' bekommen habe.
DF: Dafür musstest du aber nicht um die ganze Welt reisen.
JL: Ich musste nur mit diesen weißen Augenbrauen aufkreuzen und ungefähr drei Zeilen im ganzen Film sprechen.
DF: Und du musstest dir sechs Stunden Make Up gefallen lassen und dann wurdest du verprügelt. In 'Alexander' wirst du nicht verprügelt oder entstellt, oder?
JL: Naja, ein bisschen. Ich versuche, den Trend aufrecht zu erhalten.
DF: Dann komm' ich zur Premiere. Wenn Leto entstellt wird, bin ich dabei.
JL: Bastard. (lacht) Aber ich habe mich wirklich auf 'Alexander' gefreut. Ich hatte die Probe, und dann sauste Oliver um die Welt, um sich noch nach ein paar anderen für diese Rolle umzusehen. Man erzählte mir dauernd, dass ich die erste Wahl wäre, aber auf der anderen Seite hörte ich, dass er in London weiterhin vorsprechen ließ. Das ging ein oder zwei Monate lang so, aber am Ende bekam ich die Rolle und wir hatten dieses verrückte Abenteuer in Marokko, Thailand und England.
DF: Wie war Marokko?
JL: Ganz schön bizarr, Mann. Ich bin ja schon viel gereist, aber Marokko - was ja ein muslimisches Land ist - so dürftig die Kultur dort auch ist, es ist trotzdem sehr intensiv. Es ist so anders. Ich habe mich in dieses Land verliebt. Mit Oliver Stone an 'Alexander' zu arbeiten, da fühlte ich mich wie John Malkovich in 'The Sheltering Sky' (1990). Ich dachte mir immer wieder, "hier könnte ich für eine Weile leben." Die Sonnenuntergänge, der Pfefferminztee, und die Echo's, wenn zum Morgengebet gerufen wird, hallten durch das ganze Land. Zuerst ist es gespenstisch, aber ich gewöhnte mich daran und es gefiel mir immer mehr. Es ist so schön, einfach unvorstellbar schön. Ich meine, wenn meine Großmutter da wäre und du ihr eine Kamera in die Hand drücken würdest, dann würde sie mit Wahnsinnsbildern zurückkommen.
DF: Okay. Val Kilmer. Erzähl.
JL: Ich werde dir das verrückteste über Val Kilmer erzählen: Er ist unglaublich nett. Er ist der netteste Kerl, mit dem man arbeiten kann.
DF: Also ist das Böse in ihm irgendwo verborgen?
JL: (lacht) Weiß du, man hört so Sachen über Val, aber jeder am Set, die Schauspieler und all die anderen, jeder liebte ihn. Er war toll. Es ist eine wahre Freude, mit ihm zu arbeiten, und er war ausgezeichnet in seiner Rolle. Es ist komisch, er spielte Colin's Vater, und du würdest eigentlich denken, dass er viel zu jung dafür ist, aber es passte.
DF: Er hat eine starke Bildschirmpräsenz.
JL: Er ist zweifellos ein phantastischer Schauspieler. Er war zwar nicht, wie der Rest von uns, dreieinhalb Monate in Marokko, aber als er dazukam und zu spielen begann, war er großartig. Es machte wirklich Spaß.
DF: Und du mochtest Colin Farrell?
JL: Colin ist cool. Er ist fast wie ein irischer Brad Pitt. Als ich Brad das erste Mal sah, hätte ich ihn am liebsten sofort als meinen besten Freund gehabt, weil er so nett und cool und unkompliziert und witzig war. Colin hat auch viele von diesen Eigenschaften. Aber er arbeitet sich auch den Arsch ab. Ich habe es nie erlebt, dass er auch nur einmal seinen Text vergessen hätte. Er spielt zwar heftig, aber er arbeitet noch verbissener. Mit diesem Film traf er wirklich den Kern. Insgesamt war 'Alexander' wirklich eine solide Erfahrung, ein richtiges Abenteuer. Es war nicht wie bei 'Panic Room', denn diesmal hatte ich tatsächlich Spaß.
DF: (lacht) Okay, wir können das Tape jetzt ausschalten.
JL: Nein, es ist nur, dass ich das Schauspielern gewöhnlich nicht genieße...
DF: Nein?
JL: Nicht wirklich. Um die Wahrheit zu sagen, ich hasse es. Aber es gibt auch Momente, wo es Spaß macht. Es war wirklich eine tolle Zeit während 'Panic Room', denn als Schauspieler mit dir zu arbeiten - ganz egal, ob du einen kompletten Idioten aus dir machst, so wie ich in 'Panic Room' - ganz egal, es ist in Ordnung, denn du bist in guten Händen.
DF: Das weißt du nicht.
JL: Doch, das bist du, denn du arbeitest mit einem Meister! (lachen beide) Bei Oliver ist es dasselbe: Am Ende des Tages weißt du, dass diese Jungs keinen schlechten Film machen werden. Die Schauspieler sind immer gut und seine Filme sehen immer super aus. Sie sind immer spannend und fesseln dich, und das ist eine große Erleichterung. Das lässt dich etwas lockerer an die Sache rangehen.
DF: Weil du weißt, dass du Teil von etwas Größerem bist. Seine Filme sind extrem gut durchdacht, sowohl auf emotionaler als auch auf erzählerischer Ebene. Ich weiß noch, als ich mir Weihnachten '91 'JFK' ansah, wollte ich ihn hinterher sofort nochmal sehen. Das passiert nicht sehr oft nach einem Dreistundenfilm. (lacht)
JL: Ja, Oliver hat es, Mann.
DF: Jetzt arbeitest du also an diesem Andrew Niccol Film?
JL: Ja, er heißt 'Lord of War', mit Nicolas Cage und Ethan Hawke. Nic spielt einen Waffenhändler, und ich seinen Bruder. Es ist wirklich ein tolles Script, eins von diesen, die du liest und sagst, "Wow! Diese Welt ist völlig neu für mich." Es ist über diese Leute, die Waffen an die Rebellen von kriegsgeschundenen Ländern verkaufen, und gleichzeitig verkaufen sie Waffen an die Regierungen, die die Rebellen bekämpfen. Ein großer Teil des Films spielt in Afrika. Einige dieser afrikanischen Länder waren gerade erst vom Krieg zerstört worden. Es ist ein Independent Film. Auch wenn es ein Riesending war, war 'Alexander' auch ein Independent Film, und zwar in der Form, dass er von nicht nur einem Studio produziert wurde. Obwohl, Warner Bros gehörten dazu.
DF: Also, du hast mit 'Alexander' bereits einen 150 Millionen Dollar Independent Film gemacht, und jetzt arbeitest du an diesem anderen Big-Budget Independent Film, aber es hört sich an, als seien beide bereits abgewickelt, also nimmst du nicht einfach nur das Geld.
JL: Nun, wann immer ich eine Wahl getroffen habe, ging es mir immer um den kreativen Prozess und die Herausforderung. Weißt du, ich habe ein paar Fehler gemacht, auf die ich nicht gerade stolz bin, aber in den letzten fünf oder sechs Jahren hab' ich keinen Mist gebaut.
DF: Das ist lustig, denn wann immer du das Geld nimmst, wollen dich die Leute dafür bestrafen, und dann denkst du, "Oh nein! Ich habe so sehr versucht, dazu zu gehören."
JL: Und dann merkst du, dass das nichts für dich ist. Manchmal denke ich, anstelle von drei Zeilen in einem Film wie 'Fight Club' zu sprechen, könnte ich irgendeinen hirnlosen Scheißfilm machen, für den ich einen Haufen Geld bekomme und von dem ich meiner Omma dann ein Haus kaufen könnte, oder sowas. Aber das könnte ich nicht.
DF: Okay. Wie geht's dir privat? Ich frage das, weil ich dich neulich auf dem Cover vom Out Magazine gesehen habe, und ich dachte, "Na Endlich!"
JL: (lacht) Hephaistion, der Charakter, den ich in 'Alexander' spiele, ist schwul, und Alexander ist sowas wie eine Ikone für viele Schwule. Es wurde schon immer viel darüber spekuliert, ob er homosexuell war. Die Gesellschaft war damals ganz anders: Wenn dir danach war, es mit einem Mann zu tun, war das okay, solange du Familie hattest und einen Erben gezeugt hast. Das waren die verantwortungsvollen Dinge, worum du dich als Mann damals zu kümmern hattest.
DF: Es war alles freier damals.
JL: Goldene Zeiten.
DF: Also, wenn du 'Lord of War' hinter dich gebracht hast, wirst du deine Platte zu Ende bringen. Dann machst du wieder Pause mit dem Filmen?
JL: Keine Ahnung, Mann. Nach diesem hier mach' ich den nächsten, 'Awake'.
DF: Dreharbeiten in Los Angeles?
JL: Nein, New York.
DF: Aber du lebst noch in L.A., oder?
JL: Ich bin so selten da, weißt du. Ich war lange auf der Piste und lebte im Bus. Dann war ich für sechs Monate für 'Alexander' verschwunden, und drei für 'Lord of War'.
DF: Bist du gerne unterwegs?
JL: Ja. Ich liebe es zu reisen. Ich liebe auch den Prozess, Filme zu machen, mehr als das tatsächliche Schauspielern, wovon ich dir ja gesagt habe, dass ich das nicht so gerne mag. Es war toll, mit dir an 'Panic Room' zu arbeiten, aber es war ein anderes Szenario.
DF: Das kommt vielleicht daher, weil du in diesem strengen Rahmen gearbeitet hast. Ich meine, 90 Tage lang in demselben, verdammten Haus zu drehen - du musst dir wirklich darüber im Klaren sein, dass du nicht etwas tust, dass völlig anders ist als das, was du dir vorgenommen hast.
JL: Ich denke, es geht auch um die Qualität der Leute, mit denen du arbeitest.
DF: Was soll's, Mann. Gleichfalls. (lacht) Aber ich möchte dich wiedersehen, wenn du wieder Zeit hast.
JL: Nicht wirklich. Ich bin komplett ausgebucht.
DF: Autsch.
JL: Ja. (lacht) Und offen gesagt, ich denke, wir hatten genug voneinander.
David Fincher ist der Regisseur von Filmen wie 'Sieben' (1995), 'Fight Club'(1999), und 'Panic Room' (2002).
Original-Quelle: findarticles.com, David Fincher Übersetzung webmiss